Hoyer Speech (GE)
Rede von Staatsminister Werner Hoyer bei derOstseeparlamentarierkonferenz (BSPC) am 29. August 2011 inHelsinki29.08.2011-- Es gilt das gesprochene Wort!---------------------------------Sehr geehrte Frau Vorsitzende Gestrin,sehr geehrter Herr Präsident Heinäluoma,sehr geehrte Präsidentinnen und Präsidenten der Parlamente und ParlamentarischenVersammlungen,sehr geehrte Abgeordnete,meine sehr verehrten Damen und Herren,es ist mir eine große Freude und Ehre, Ihnen im Namen der Bundesregierung und desVorsitzes sehr herzlich zum 20-jährigen Bestehen der Ostseeparlamentarierkonferenz zugratulieren.Mein besonderer Dank gilt den finnischen Gadtgebern für die Gelegenheit, an dieserKonferenz teilzunehmen.Ich komme stets gerne nach Finnland, ein Land der großen Gastfreundschaft, ein Land, dasfür unsere Entwicklung in Europa unersetzlich ist.Mit Finnland arbeiten wir besonders eng zusammen, um die akute Staatsschuldenkrise imEuroraum über eine neue Stabilitätskultur zu überwinden.Zu dieser Stabilitätskultur leistet die gute Zusammenarbeit der Ostseeanrainer in den Gremiender Ostseekooperation einen wesentlichen Beitrag.Zwar sind die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise auch an den Staaten des Ostseeraumes,insbesondere an den baltischen Staaten, nicht spurlos vorübergegangen. Lettland, Litauen undEstland sind aber ein Beispiel dafür, wie Staaten sie mit großer Entschlossenheit erfolgreichüberwinden können.Am 1. Juli diesen Jahres hat Deutschland den Vorsitz im Ostseerat von Norwegenübernommen.Ich möchte unseren norwegischen Freunden für die erfolgreiche und engagiertePräsidentschaft besonders danken.Zugleich möchte ich an dieser Stelle für den Ostseerat unsere tiefe Anteilnahme mit denMenschen in Norwegen ausdrücken. Das entsetzliche Verbrechen vom 22. Juli war einAngriff auf die Grundwerte Freiheit und Toleranz Ihres so offenen Landes. Diesen Wertenfühlen wir uns im Ostseeraum in gleicher Weise verbunden und verpflichtet.Unser ganzes Mitgefühl gilt den Opfern und ihren Angehörigen. Das norwegische Volk undseine politischen Führer verdienen großen Respekt dafür, wie sie in dieser schwierigenSituation Besonnenheit und Weitblick beweisen.Herr Dr. Jürgen Schöning hat in seinem historischen Rückblick in eindrucksvoller Weise dieErfolge, aber auch die Probleme und Herausforderungen, die die Ostseepolitik in 20 JahrenOstseeparlamentarierkonferenz erfahren hat, nachgezeichnet.Aus Sicht des Osteerates kann ich den hohen Stellenwert der Ostseeparlamentarierkonferenznur unterstreichen.Vertreter nationaler und regionaler Parlamente leisten gemeinsam – und das ist einmalig -einen wertvollen Beitrag zum weiteren Zusammenwachsen des Ostseeraumes.Ich bin erfreut darüber, dass die Zusammenarbeit zwischen Ostseeparlamentarierkonferenzund Ostseerat in den vergangenen Jahren immer enger geworden ist.Denn eines eint uns alle in diesem Raum: die Ostsee – das ist unser „Mare Nostrum“, dieOstsee – das ist unser Meer.Wir alle profitieren von den überaus engen Verbindungen – politisch, wirtschaftlich,menschlich, kulturell -, die die Ostsee bietet. Ein regelmäßiger und intensiver Dialog mitIhnen ist für die deutsche Ostseeratspräsidentschaft unverzichtbar.Wir brauchen in allen Bereichen die Impulse und die Unterstützung aus demparlamentarischen Raum.Bevor ich auf die Schwerpunkte unseres deutschen Präsidentschaftsprogrammes zu sprechenkomme, möchte ich gerne noch einmal auf unsere Jubiliäen eingehen und eine politischeBilanz ziehen:Nach dem 20-jährigen Bestehen der Ostseeparlamentarierkonferenz werden wir in zweiWochen als kulturellen Auftakt unserer Präsidentschaft das 20-jährige Jubiläum von ArsBaltica auf Schloss Plön in Schleswig-Holstein feiern.Ars Baltica – dieser Initiative liegt die Förderung der kulturellen und kulturpolitischenZusammenarbeit im Ostseeraum am Herzen.Und im kommenden Frühjahr wird der Bundesminister des Auswärtigen anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Ostseerates zu einem Außenministertreffen nach Schleswig-Holsteineinladen, um einen strategischen Dialog über die weitere Entwicklung der Region zu führen.Kaum eine andere europäische Region hat sich nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes sotiefgreifend gewandelt wie der Ostseeraum.Bis 1989 bildete die Ostsee eine der Nahtstellen einer potenziellen Blockkonfrontation.Erst mit der Beseitigung des Eisernen Vorhangs, oder, wie es mit Blick auf den Ostseeraumauch einmal formuliert worden ist, des Eisigen Vorhangs, hat sich die Ostsee vom Meer derKonfrontation zu einem Meer der Freiheit und der Chancen enwickelt.Die ursprüngliche Aufgabe des Ostseerates, die Unterstützung der östlichen Anrainerstaatenauf ihrem Weg zur Demokratie und zu einem marktwirtschaftlichen System, hat erhervorragend erfüllt.Er hat die Kooperation aller Küstenländer in einer Weise belebt, die inzwischen weit über dieRegion hinaus Modellcharakter bekommen hat.Nicht ohne Grund schaut man auf den Ostseeraum, wenn man am Schwarzen Meer, an derDonau und am Mittelmeer nach Vorbildern für eine erfolgreiche makroregionale Kooperationsucht.Ich denke, darauf können wir auch ein wenig stolz sein.Heute sind acht Anrainerstaaten Mitglieder der Europäischen Union.Russland, einschließlich seiner Exklave Kaliningrad, öffnet sich immer mehr dereuropäischen Zusammenarbeit; nur Belarus wird noch von einem diktatorischen Regimegeplagt.Mit der „Nördlichen Dimension“ und der EU-Ostseestrategie entwickelt dieOstseekooperation heute eine neue Dynamik, auch wenn die Nördliche Dimension einenetwas anderen geographischen Schwerpunkt hat und die EU-Ostseestrategie vor allem alsBinnenstrategie konzipiert wurde.Die Ostsee ist ja auch fast zu einem EU-Binnenmeer geworden. Hierauf reagierte derOstseerat mit den Reformbeschlüssen des Gipfels von Riga im Jahre 2008.Herzstück dieser Reform war es, die Arbeit des Ostseerates auf eine begrenzte Zahl vonArbeitsschwerpunkten zu konzentrieren, um ein Maximum an Ertrag zu erzielen.Während der deutschen Präsidentschaft wollen wir ein besonderes Augenmerk auf dreiSchwerpunkte setzen:1.) Modernisierungspartnerschaft für den südöstlichen OstseeraumAuch wenn der Ostseeraum insgesamt eine prosperierende Region ist, so bestehen zwischenden südöstlichen und westlichen Regionen der Ostsee immer noch erhebliche Unterschiede.Wir wollen deshalb ein Programm zur Modernisierung des südöstlichen Ostseeraumesauflegen.Wir möchten dabei dem Gebiet Kaliningrad und seiner Verflechtung mit der Nachbarschaftbesondere Aufmerksamkeit widmen.Die Präsidentschaften von Deutschland und anschließend von Russland bieten die einmaligeChance, dieses Programm auf einen längeren Zeitraum auszurichten und so auf der Basis derVorarbeiten Norwegens die notwendige Kontinuität zu gewährleisten.Wir erhoffen uns dabei noch weitere konkrete Anregungen und Beiträge: vor allem aus Polenund den baltischen Staaten, aber auch aus den anderen Mitgliedsstaaten des Ostseerates. DieAußenminister des Ostseerates haben hierzu am 7. Juni ein entsprechendes Mandat erteilt.Zugleich soll eine gemeinsame Initiative zur Förderung von „Öffentlich-PrivatenPartnerschaften“ Anreize für die wirtschaftliche Entwicklung des Ostseeraumes und derprivaten Investitionen geben.Hier sind die Unternehmen aus dem Ostseeraum gefordert, aber auch der Staat, der durchRechtssicherheit und „gutes Verwaltungshandeln“ – good governance – einen verlässlichenRahmen setzen muss.2.) Kohärenter Rahmen der ZusammenarbeitWir wollen den Ostseerat künftig enger in die neuen Strukturen der Ostseekooperationintegrieren und die verschiedenen Foren der Zusammenarbeit stärker vernetzen.Wir brauchen eine sinnvolle Aufgabenteilung, in dem sich Ostseerat, EU-Ostseestrategie undNördliche Dimension gegenseitig verstärken.Dabei kommt uns zugute, dass während unserer Präsidentschaft zwei Ostseeanrainer, Polenund Dänemark, den EU-Vorsitz übernehmen..Gemeinsam werden wir versuchen, bei der Zusammenarbeit von Ostseerat und EU neueImpulse zu setzen.Daher wird auch das Jährliche Forum der EU-Ostseestrategie Ende Oktober in Danzig einwichtiges Datum für den deutschen Ostseeratsvorsitz sein.An der Evaluierung der EU-Ostseestrategie unter polnischem Vorsitz wirken wir aktiv mitund thematisieren dabei insbesondere die Rolle des Ostseerates bei ihrer Implementierungsowie eine sehr viel weitergehende Einbeziehung des Nicht-EU-Staates Russland.Auch in Brüssel, bei Kommission und Europäischem Auswärtigen Dienst, wächst dasVerständnis für den spezifischen Mehrwert, den der Ostseerat insbesondere in derZusammenarbeit mit Russland erbringen kann.Nur der Ostseerat bietet ein politisches Forum für alle Ostseeanrainerstaaten, die einzelnenRegionen und die EU.Im nächsten Jahr wollen wir - mit „wir“ meine ich nicht nur die Bundesregierung, sondernauch den Deutschen Bundestag - die verschiedenen Akteure des Ostseeraumes zugemeinsamen „Ostseetagen“ nach Berlin einladen, um diese Vision einer kohärentenZusammenarbeit und die künftige Rolle des Ostseerates intensiv zu diskutieren.3.) Regionale Identität stärkenUnter dem Dach des Ostseerates haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten eine Vielzahlvon transnationalen Netzwerken, Organisationen und Institutionen herausgebildet.Der Ostseerat ist ein Symbol regionaler Identität im Ostseeraum.Als Besonderheit kennzeichnet ihn die Kooperation „von unten“, die wesentlich dazu beiträgt,dass sich die Menschen im Ostseeraum mit dieser Region, mit ihrer Geschichte und ebensomit ihrer Kultur identifizieren.Wir wollen diese Identifikation weiter stärken.Deshalb liegt mir das Projekt eines Ostseegeschichtsbuches, das wir maßgeblich unterstützen,ganz besonders am Herzen.Dieses soll die kulturellen und historischen Gemeinsamkeiten der Ostseeregionen und –nationen veranschaulichen, ohne die Konflikte dabei auszusparen.Damit wird gerade für Jugendliche und junge Erwachsene die Möglichkeit geschaffen, sichmit der facettenreichen Geschichte im Ostseeraum auseinanderzusetzen.Neben den genannten neuen Akzenten werden wir unter unserer Präsidentschaft die Arbeit anden Langzeitschwerpunkten des Ostseerats aktiv vorantreiben. Lassen Sie mich heute nur dieBereiche Umwelt und Energie hervorheben.Ich begrüße es sehr, dass sie diese Konferenz unter das Leitthema „Grünes Wachstum für einesaubere Ostsee“ gestellt haben.Dies macht deutlich, wo Parlamente und Regierungen der Ostseeanrainer Aufgaben undChancen für die künftige Zusammenarbeit sehen.1. Umweltschutz: Die immer intensivere Nutzung und Bewirtschaftung der Ostsee hat zweiSeiten: Den Menschen an der Ostsee geht es immer besser, der Ostsee selbst aber immerschlechter.Nur gemeinsam können die Anrainerstaaten die Verschmutzung der Ostsee erfolgreichbekämpfen. Ebenso hinterlassen der Klimawandel und die Erderwärmung Spuren.Der Übergang zu einer „grünen Wirtschaft“ ist ein Teil der Antwort auf einige dieserdringenden Herausforderungen.Wenn dieser Übergang intelligent und schonend gemacht wird, dann kann erWirtschaftswachstum langfristig sichern und die Verschmutzung der Ostsee sowie dieKlimaveränderungen mildern.Ich begrüße bei dieser Gelegenheit ausdrücklich die Arbeit der Helsinki-KommissionHELCOM, die auf der Basis des Ostseeaktionsplanes umfassend und effektiv am Schutz desMeeresökosystems arbeitet.Wir haben die große Chance, den Ostseeraum als Vorreiterregion einer „grünenWirtschaft“ zu etablieren.Als Vorbild, Partner und Innovator steht er international in der Verantwortung und verfügtüber ein erhebliches Potenzial auf diesem Gebiet.Der Ostseerat wird vor allem in der Expertengruppe für nachhaltige Entwicklung, Baltic 21,Akzente mit der Durchführung konkreter Umweltprojekte setzen. Ferner wollen wir imRahmen einer Klimakonferenz zur Entwicklung einer gemeinsamenKlimaanpassungsstrategie für den gesamten Ostseeraum beitragen.2. Energie: Ein wichtiges Thema in diesem Kontext ist die künftige Energieversorgung imOstseeraum. Es zeigt sich, dass die Ostseeanrainer hier verschiedene Wege gehen:Deutschland hat die gesellschaftliche Grundentscheidung getroffen, seine Energieversorgungkünftig aus erneuerbaren Quellen zu decken.Dazu werden wir schneller als geplant – nämlich spätestens Ende 2022 - aus der Kernenergieaussteigen und den Ausbau der erneuerbaren Energien zügig vorantreiben.Auf der Grundlage unseres Energiekonzeptes wollen wir das Zeitalter der erneuerbarenEnergien im Jahr 2050 erreichen. Uns ist bewusst, dass viele unserer Partner – auch imOstseeraum – an der Kernenergie festhalten.Wir sind überzeugt: Die Zukunft liegt auch im Ostseeraum in erneuerbarer Energie.Schweden, Finnland und Lettland sind Vorreiter beim Ausbau der erneuerbaren Energien.Bereits im Jahr 2020 werden diese Länder über ein Drittel ihrer Energie aus erneuerbarenEnergiequellen beziehen.Im Rahmen des Ostseerates steht die Baltic Sea Region Energy Cooperation (BASREC) fürein erfolgreiches Zusammenwirken in der Ostsee-Energiepolitik.Hier werden Fragen der Energiesicherheit, des Ausbaus der erneuerbaren Energien sowie derEnergieeffizienz in vertrauensvollem Dialog erörtert.BASREC wird bis zum Jahr 2020 eine energiepolitische Gesamtstrategie für die Ostseeregionerarbeiten und daneben Projekte zum Ausbau der Windenergie und der Entwicklung derKohlenstoffspeicherung finanzieren.Die Ergebnisse dieser Projekte werden wir auf Einladung des Bundeswirtschaftsministers imFrühjahr 2012 auf einer Energiekonferenz in Berlin vorstellen.Das vollständige deutsche Präsidentschaftsprogramm finden Sie in Ihren Unterlagen.Wir wollen den Ostseerat unter deutscher Präsidentschaft schlagkräftiger und zukunftsfähigmachen, damit er – so unser Motto – „Pionier der Zusammenarbeit und Symbol regionalerIdentität“ bleibt. Unsere Präsidentschaft ist jedoch nur dann erfolgreich, wenn sie gemeinsamvon allen Mitgliedern getragen wird. Daher bitte ich Sie alle im Namen der Bundesregierungum Unterstützung bei den skizzierten Vorhaben.Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir beim Gipfel der Regierungschefs am30./31. Mai 2012, zu dem die Bundeskanzlerin einladen wird, eine positive Bilanz ziehenkönnen.In diesem Sinne wünsche ich uns allen hier in Helsinki weiterhin eine erfolgreiche Tagungmit spannenden Vorträgen und interessanten Diskussionen rund um die Ostsee.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Hoyer Speech (GE)